Gedenkfeier gegen das Vergessen

Bremervörde | 04. Oktober 2022
Iwona Fabisiak und Brian Gerken treffen zur Enthüllung der Gedenktafel erstmals zusammen.
Iwona Fabisiak und Brian Gerken treffen zur Enthüllung der Gedenktafel erstmals zusammen. | Quelle: Bremervörder Zeitung
Jarek und Iwona Fabisiak (von links), Brian Gerken und Regina Bastein legen Blumen vor dem Grabstein nieder.
Jarek und Iwona Fabisiak (von links), Brian Gerken und Regina Bastein legen Blumen vor dem Grabstein nieder. | Quelle: Bremervörder Zeitung
Hermann Röttjer, der das Projekt initiiert hat, enthüllt den Grabstein und die Gedenktafel.
Hermann Röttjer, der das Projekt initiiert hat, enthüllt den Grabstein und die Gedenktafel. | Quelle: Bremervörder Zeitung

Gedenkfeier gegen das Vergessen

Enthüllte Gedenktafel in Iselersheim erzählt das tragische Schicksal von Annemarie Gerken und Stefan Szablewski

Von Nina Baucke

ISELERSHEIM. Der US-Amerikaner Brian Gerken legt seinen Arm um die Schulter der Polin Iwona Fabisiak auf dem Rasen vor dem Iselersheimer Findorff-Haus, und es ist, als schließe sich am Samstag in diesem Augenblick ein Kreis. Ein Kreis, der seinen Ursprung in einer Begegnung vor 82 Jahren auf einem Bauernhof in Elsdorf-Badenhorst hat. An die Geschichte dieser Begegnung, der der Iselersheimerin Annemarie Gerken und des polnischen Zwangsarbeiters Stefan Szablewski, und an das, was ihr folgte, erinnert jetzt eine Gedenktafel.

Es ist ein emotionaler Augenblick für Brian Gerken, er ist der Sohn von Wilfried Gerken – und dieser wiederum das Kind aus der verbotenen Beziehung von Annemarie und Stefan. Er war mit neun Jahren in die USA zu kinderlosen Verwandten geschickt worden und nie wieder nach Deutschland zurückgekehrt. „Das hier heute bedeutet mir mehr, als ich sagen kann“, gesteht Brian Gerken bei der bewegenden Feier zur Enthüllung der Tafel. Auch Iwona Fabisiak ist sichtlich gerührt, sie ist Nachfahrin aus Stefans Ehe in Polen, und damit eine Cousine des Amerikaners.

Recherche seit 1994 enthüllt tragische Liebesgeschichte

Seit 1994 hat Hermann Röttjer, Vorsitzender des Heimatvereins, das Geschehene rekonstruiert, Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen, und eine tragische Liebesgeschichte enthüllt: wie Annemarie und Stefan sich auf dem Bauernhof, auf dem sie beide arbeiteten, 1940 kennenlernten und verliebten. Wie die Iselersheimerin schwanger wurde und im Mai 1941 ihren Sohn Wilfried zur Welt brachte. Wie Stefan bereits im Februar 1941 ins Gerichtsgefängnis nach Bremerhaven kam und ihn die Gestapo wenige Monate später im Juli in Elsdorf an einem Baum erhängte und Annemarie erst ins Konzentrationslager Ravensbrück kam und am Ende in Auschwitz starb – „als Strafe für ein Verbrechen, das keines war“, wie Pastor Simon Laufer in seiner Ansprache sagt. „Die beiden standen gegen die Übermacht eines Systems, dem die menschlichen Maßstäbe abhandengekommen waren. In dem Gutes böse und Böses gut genannt wurde.“

Im vergangenen Jahr verlegte dann der Künstler Gunter Demnig zwei Stolpersteine im Andenken an das Paar vor dem Findorff-Haus. „Uns kam daraufhin die Idee, mit einer Tafel von dem Schicksal der beiden zu erzählen“, berichtet Hermann Röttjer bei der Enthüllung, zu der nicht nur zahlreiche Mitglieder der Familie Gerken zum Findorff-Haus gekommen waren, sondern auch Iselersheimer Bürger, Abordnungen der örtlichen Vereine, Vertreter der Stadt Bremervörde, Erich Gajdzik als stellvertretender Landrat und der SPD-Landtagsabgeordnete Bernd Wölbern. Neben Hermann Röttjer selbst arbeiteten auch Simon Laufer, Regina Bastein als Großnichte Annemaries, Jan Dohrmann von der Gedenkstätte Sandbostel, Hermann Heinecke, dem heutigen Eigentümer des früheren Hofes in Elsdorf, und der frühere Stader Kreisarchäologe Dietrich Alsdorf an dem von der Stadt, dem Lions-Club, der Sparkassen-Stiftung, dem Landschaftsverband Stade sowie weiteren privaten Spendern. „Es braucht Mut und Engagement, das dunkle Kapitel dieser Ortschaft aufzuarbeiten“, sagt Erich Gajdzik. „Es ist wichtig, den Menschen heute die Vergangenheit ins Bewusstsein zu bringen.“

Kein willkürlich ausgewählter Platz

Der Platz der Tafel auf dem Rasen direkt vor einem Rhododendronbusch ist nicht willkürlich gewählt: Mit einer aufwendigen Prospektion ist in diesem Jahr das Grab Annemaries an dieser Stelle ausfindig gemacht worden, nachdem der Friedhof 1979 geschlichtet und wenige Hundert Meter weiter verlegt worden war.

Jetzt steht vor dem Findorff-Haus nicht nur eine Tafel, sondern auch eine Nachbildung des Grabsteins von Annemarie Gerken – ergänzt durch den Namen und die Daten Wilfried Gerkens. Denn an diesem Tag werden nicht nur die Gedenktafel und der Grabstein enthüllt, sondern es wird auch die Urne des 2007 verstorbenen Sohnes von Annemarie und Stefan auf dem Iselersheimer Friedhof beigesetzt – sein Wunsch, den Brian Gerken ihm nun erfüllt. Und auch damit schließt sich ein Kreis: „Mutter und Sohn ruhen jetzt hier gemeinsam, als Erinnerung an Annemarie und Stefan, deren Liebe grausam bestraft wurde. Möge ihr Schicksal eine Mahnung sein, jederzeit für Menschenrechte einzustehen“, betont Regina Bastein und hat einen eindrücklichen Appell: „Lasst uns wachsam sein!“

Quelle: Bremervörder Zeitung